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Eine ganz persönliche, sardische Liebeserklärung

Vor 8 Jahren entdeckte ich ein kleines Dorf in Sardinen: 2 Bars, 3 Restaurants, 1 kleiner Supermarkt, private B&Bs, keine Ampel, Autos lässt man meist offen stehen.
Seither war ich 9x dort. Das ist mein Paradies. (9x, das will echt was heissen, weil ich bisher immer kreuzt und quer durch die Welt gereist bin, nie 2x an einen Ort, gibt ja soviel anderes zu entdecken), aber dann habe ich mich in diesen Ort verliebt, in die Menschen dort, ihre Lebensweise. Es ist mir eine zweite Heimat geworden und mein Herz geht auf, wenn ich dort ankomme.
Ich leihe mir ein klappriges Rad und werde grüßend angehupt, wenn ich unterwegs bin.
Der Gemüsebauer, der am Strassenrand alles frisch aus seinem Garten hinter dem Haus, verkauft, läuft um seinen Stand und umarmt mich herzlich, als ich wieder da bin.
Es gibt dort tatsächlich noch den kastenartigen 80 Jahre Panda.
Kinder spielen auf Rasen neben dem Restaurant, andere Gäste reden, scherzen oder spielen mit ihnen, die Eltern haben sie stressfrei im Blick ohne Entführungsfurcht.
Beim 2. Espresso in der Bar hat "Ciao" eine andere Sprachmelodie - die, die einen guten Bekannten grüßt.
Bei der Großfamilie mit Kiosk am Strand werde ich nach meinem Campari Soda bei Sonnenuntergang eingeladen zu bleiben und 2h später steht Pasta, Ziege, Esel, Brot und Wasser auf den Klapptischen und ich esse und lache in der großen Runde mit drei Generationen (zumindest Wein vom Camping konnte ich beisteuern - bezahlen kann man diese Momente mit nichts ausser dankbarer glückseliger Lebendigkeit).
Und soviel italienisch verstehe ich, dass ich verstehe, dass sich im Dorf nicht alle grün sind, die 9 jährige Tochter eine böse Geschwulst hatte, bei der 5 Jährigen Verdacht auf Diabetes bestand, Giannis Arbeitsplatz in der Fabrik gefährdet ist, diese Familie den Freund der Cousine nicht mögen, Paolo Estefania betrügt, Jessica putzt, obwohl sie Sekretärin gelernt hat. Kein Job, so putzt sie. Kein Bock auf Stress. Ihr und ihrer Familie reicht's. Lieber verbringt sie Zeit am Strand (Durchschnittseinkommen ist schätzungsweise ein Drittel eines Münchner Gehalts). Trotzdem oder deswegen sitzen sie alle gemeinsam am Tisch und da ist dann einfach: Chiacchierata (Plauderei, Schwatz), Leben und Leben lassen und gemeinsam den Sonnenuntergang genießen, da brauchts einfach nichts mehr.
"Che bello il mare."

Zurück in München: Viel zu große Autos, in Styro und Plastik verpacktes hochglänzendes, hochgezüchtetes aber geschmackloses Obst, seit 7 Jahren kaufe ich dort ein - kein Blickkontakt, kaum Lächeln auf der Straße - tagelang fühle ich mich völlig falsch hier, bis mich der Trott selbst wieder mitreisst und ich es kaum mehr merke.

Dazwischen denk ich mir noch: "Irgendwann bin i dann furt ... "
Nicht 10 Tage frei, für die ich vorher rödel wie blöd um dann die ersten Tage Urlaub zu verschlafen, sondern länger "furt" ...

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